© Christoph Bastert Heidelberg |
🎙️ Viele fragen sich, wie man von dem reißerischen Gebiet des Mord und Totschlags später Dozent für das vermeintlich trockene Steuerrecht wird. Vermissen Sie den Gerichtsaal? Oder die Menschen und die Geschichten, die hinter den Taten stehen?
Das
erscheint in der Tat recht abwegig. Strafrecht und Steuerrecht –
gegensätzlicher können die Rechtsgebiete eigentlich gar nicht
sein, sieht man von den Steuerstraftaten ab, die in
steuerrechtlicher Hinsicht in den allermeisten Fällen nicht allzu
kompliziert sind. Ja,
der Gerichtssaal fehlt mir bisweilen. Er war meine Bühne. Und eine
– man verzeihe mir diesen Ausdruck - „alte Rampensau“ wie ich,
braucht eine, seine Bühne. Man darf sich allerdings einen
Strafprozess nicht als durchgängiges Spektakel vorstellen, wo es
permanent drunter und drüber geht, sich die Ereignisse
überschlagen. Strafprozess ist in weiten, bisweilen in sehr weiten
Teilen unglaublich langweilig. Es werden manchmal Hunderte Blatt
Papier (Spurensicherungsberichte, Emails, Gutachten,
Durchsuchungsberichte, Verträge, Rechnungen, Zollerklärungen usw.)
verlesen, man hört sich über 5, 6, 10 Verhandlungstage abgehörte
Telefonate an. Die Kunst ist, im richtigen Moment hellwach zu sein.
Strafrecht
ist zutiefst destruktive Tätigkeit. Man erschafft nichts, man
entwickelt nichts. Das hat mich seinerzeit, so sehr ich es liebte,
Strafverteidiger zu sein, mehr und mehr gestört. Ich wollte wieder
tüfteln, ganz tief eintauchen in juristische Zusammenhänge und
nicht in Tatsachen wühlen. Ich denke, nur 2 bis maximal 3 Prozent
der Strafsachen sind juristisch kompliziert. Das Steuerrecht gab mir
diese Möglichkeit, wieder konstruktiv zu arbeiten. Das genieße
ich. Und mit meinen Lesungen habe ich ja meine Bühne wieder zurück.
Vermisse
ich die Menschen, die sich Mandanten nannten und ihre Geschichten?
Nein, ich bin so randvoll mit Geschichten, dass es für 1.000 Bücher
reichen würde. Allerdings.....letzte Woche erreichte mich ein Brief
eines ehemaligen Mandanten, dem jetzt ein Tötungsdelikt vorgeworfen
wird. Er bat mich, ihn zu verteidigen. Ich gestehe, ich ringe mit
mir.
Genauso wenig, wie es DEN bösen Menschen gibt, gibt es DEN guten Menschen. Im Vorwort zu den „Mörderinnen“ schrieb ich, dass es mir beim Erzählen der Geschichten meiner Mandanten nicht darum geht, Verständnis für deren Taten einzufordern, diese gar zu entschuldigen. Es geht um das Verstehen des „Wieso?“. Das ist etwas völlig anderes. Tötet ein Mensch einen anderen, so lädt er die größte Schuld auf sich, die man als Mensch auf sich laden kann. Die vermeintlich nur guten Menschen verraten uns nichts über die Dämonen, die in uns allen sind. Nur das unschuldige Opfer und der Täter können uns über diese berichten, über die Konflikte und deren Ursachen. Das ist die menschliche Komponente.
Und dann gibt es noch die gesellschaftliche. Jeder Strafprozess ist ein Abbild seiner Zeit, ist das Produkt der gesellschaftlichen Moralauffassungen, der gesellschaftlichen Kämpfe und des Schicksals der Menschen, die in dieser Zeit leben. Nicht umsonst erzählen die großen gesellschaftskritischen Dramen in der Literatur zumeist tödlich endende Geschichten. Von „Romeo und Julia“, über „Die Ratten“ von Hauptmann bis zu Schirachs „Terror“. In diesen spitzt sich auf brachiale Weise alles zu. Liebe, Hass, Freund- und Feindschaft, politische Konflikte. Mit ging und geht es um den Menschen und seine Stellung in einem gesellschaftlichen System.
🎙️ Sie haben im Interview mit Radio B2 Deutschland gesagt, dass Sie
während des Prozesses bzw. der Vorbereitung kein Mitleid zulassen,
da sonst keine Distanz mehr besteht. Kam denn während des
Schreibens Mitleid mit den Tätern auf?
Man
sagt sich schon das eine oder andere Mal: „Was für eine arme
Sau!“. Ohne Empathie mit „seinen“ Verbrechern kann man kein
guter Strafverteidiger sein. Es geht immerhin in Allem um das
Schicksal von Menschen, das der Opfer UND das der Täter.
Nehmen Sie den Fall „Das Genie“ in den „Mördern“. Wer oder was bestimmt, in welches Umfeld ein Mensch hineingeboren wird? Der grausamste, der erbarmungsloseste Mord, mit dem ich konfrontiert wurde, auf der einen Seite. Ein kleiner, hochbegabter, körperlich gehandicapter Junge, hineingeboren in eine Familie brutaler Alkoholiker von niederer Intelligenz. Was hätte aus ihm werden können, wenn nicht.......? Aber sind diese Gedanken Mitleid? Nein. Für Mitleid ist da kein Platz.
🎙️ Würden Sie sagen, dass das Niederschreiben der Geschichten eine Art der Verarbeitung ist? Die Fälle im Buch „Mörderinnen“ haben es ja in sich und gehen sicher nicht spurlos an einem vorüber.
Nehmen Sie den Fall „Das Genie“ in den „Mördern“. Wer oder was bestimmt, in welches Umfeld ein Mensch hineingeboren wird? Der grausamste, der erbarmungsloseste Mord, mit dem ich konfrontiert wurde, auf der einen Seite. Ein kleiner, hochbegabter, körperlich gehandicapter Junge, hineingeboren in eine Familie brutaler Alkoholiker von niederer Intelligenz. Was hätte aus ihm werden können, wenn nicht.......? Aber sind diese Gedanken Mitleid? Nein. Für Mitleid ist da kein Platz.
© mosaik Verlag, Veikko Bartel |
🎙️ Würden Sie sagen, dass das Niederschreiben der Geschichten eine Art der Verarbeitung ist? Die Fälle im Buch „Mörderinnen“ haben es ja in sich und gehen sicher nicht spurlos an einem vorüber.
Verarbeiten
klingt nach „ich musste mit mir selbst klar kommen“. Ich hatte in
meiner Zeit als Verteidiger wegen eines Falls nie schlaflose Nächte,
ich hatte niemals das Gefühl, auf der falschen Seite zu stehen. Mit
einer Ausnahme. Welche? Die letzte Geschichte in den „Mördern“.
🎙️ Warum war es Ihnen wichtig, in den Büchern zwischen männlichen und weiblichen Tätern zu unterscheiden? Sind vor dem Gesetz nicht alle gleich?
🎙️ Warum war es Ihnen wichtig, in den Büchern zwischen männlichen und weiblichen Tätern zu unterscheiden? Sind vor dem Gesetz nicht alle gleich?
Diese
Unterscheidung ergab sich nicht absichtlich. Ich schrieb die
Geschichten der beiden Bücher in einem Zug, ohne auf Männer
und/oder Frauen zu achten. Es sind die Fälle, die in mir noch heute
am meisten nachhängen. Dass zwei Bücher herausgekommen sind, liegt
daran, dass es für nur ein Buch zu viel Stoff war.
Vor
dem Gesetz sind alle gleich? Ein sehr integrer Wunschtraum, mehr
nicht. Mit der Wirklichkeit hat er nicht viel gemein.
🎙️ Nun gibt es ja immer Menschen, die sich fragen, ob und vor allem wie man mit gutem Gewissen jemanden verteidigen kann, der zum Beispiel sein Kind umgebracht hat. Abgesehen davon, dass jedem ein fairer Prozess zusteht – kann man überhaupt unvoreingenommen an einen Fall solcher Schwere gehen? Oder ertappt man sich irgendwann dabei, dass man bereits gewisse Schubladen im Geiste angelegt hat?
🎙️ Nun gibt es ja immer Menschen, die sich fragen, ob und vor allem wie man mit gutem Gewissen jemanden verteidigen kann, der zum Beispiel sein Kind umgebracht hat. Abgesehen davon, dass jedem ein fairer Prozess zusteht – kann man überhaupt unvoreingenommen an einen Fall solcher Schwere gehen? Oder ertappt man sich irgendwann dabei, dass man bereits gewisse Schubladen im Geiste angelegt hat?
Strafverteidiger
kann nur sein, wer in sich einen abgrundtiefen Glauben an das Gute im
Menschen trägt. Bei mir gab es keine Schubladen. Allerdings muss man
sich jeden Moment den den Menschen und damit einem selbst angeborenen
Hang zu Vorurteilen vergegenwärtigen. Diesen muss man sich jeden
Augenblick bewusst sein, sich angewöhnen, selbst die scheinbar
klarsten Dinge zu hinterfragen. Ein und ein macht zwei. Warum
eigentlich?
Am Anfang eines Falles, zieht einen natürlich die Grausamkeit eines Verbrechens in den Bann. Man sieht Bilder von Tatorten, grausam zugerichtete Körper auf den Edelstahltischen in der Gerichtsmedizin. Dann schaltet man in den „Verteidigermodus“ um. Ab da geht es nur noch um den Tatnachweis, um die Verteidigungsstrategie. Nicht mehr darum, wie schlimm die Tat war. Der Tod bleibt im Gerichtssaal zumeist abstrakt.
Es gibt allerdings seltene Momente, in denen einem auch als Verteidiger das Blut in den Adern gefriert. In dem Fall „Das Genie“ wurde im Prozess auch Babsi als Zeugin vernommen, die den Tod ihres Vaters beschrieb. Mit der bildlichen, naiven Sprache eines achtjährigen Kindes. Danach brauchten wir alle eine sehr lange Mittagspause.
🎙️ Gibt es nach "Mörderinnen" und "Mörder" schon eine Idee für ein neues Buch?
Am Anfang eines Falles, zieht einen natürlich die Grausamkeit eines Verbrechens in den Bann. Man sieht Bilder von Tatorten, grausam zugerichtete Körper auf den Edelstahltischen in der Gerichtsmedizin. Dann schaltet man in den „Verteidigermodus“ um. Ab da geht es nur noch um den Tatnachweis, um die Verteidigungsstrategie. Nicht mehr darum, wie schlimm die Tat war. Der Tod bleibt im Gerichtssaal zumeist abstrakt.
Es gibt allerdings seltene Momente, in denen einem auch als Verteidiger das Blut in den Adern gefriert. In dem Fall „Das Genie“ wurde im Prozess auch Babsi als Zeugin vernommen, die den Tod ihres Vaters beschrieb. Mit der bildlichen, naiven Sprache eines achtjährigen Kindes. Danach brauchten wir alle eine sehr lange Mittagspause.
🎙️ Gibt es nach "Mörderinnen" und "Mörder" schon eine Idee für ein neues Buch?
Das
ist sogar schon fertig. Der Fall eines zu Unrecht zu lebenslanger
Haft verurteilten alleinstehenden Familienvaters von 3 Töchtern.
Und der Kampf eines Anwalts für die Freilassung seines Mandanten.
🎙️ Haben die Bücher Sie auch persönlich wachsen lassen? Sprich: Wenn
Sie nun als Autor auf Ihre Zeit beim Gericht zurückblieben mit den
Erfahrungen, die Sie durch das Schreiben erlangt haben, würden Sie
in bestimmten Situationen heute anders entscheiden? Haben Sie heute
vielleicht einen leicht anderen Blick auf Täter und Opfer?
Ich
begegne Menschen viel offener, mit sehr viel mehr an
Vertrauensvorschuss.
🎙️ Als Abschlussfrage: Was ist ihr Lieblingsbuch bzw. Lieblingsautor?
🎙️ Als Abschlussfrage: Was ist ihr Lieblingsbuch bzw. Lieblingsautor?
Das ist die einfachste Frage: Goethes Faust I und vor allem Faust II.
https://www.veikko-bartel.de/
https://www.facebook.com/Veikko.Bartel.Schriftsteller/
https://www.instagram.com/veikko_bartel/
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Redaktion: Katharina
Lektorat, Layout: Juliette
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