Interview mit: Lorenz Stassen

© Ulli Grünewald
🎙️ Hallo Lorenz. Als eingefleischter Thriller- und Reihen-Fan bin ich auch an deinen beiden Büchern "Angstmörder" und "Blutacker" nicht vorbeigekommen. Wie kamst du zum Bücherschreiben, warum dieses Genre?

Mein Werdegang verlief nicht ganz geradlinig. Da ich in Deutsch zeitweise eine Fünf hatte, schaffte ich es nur bis zur Mittleren Reife (Realschulabschluss). Danach habe ich erstmal eine Ausbildung zum Chemielaborant gemacht. Chemie war neben Film immer mein zweites großes Interessengebiet – noch heute. Aber ich habe nie in meinem Beruf gearbeitet, sondern nach meinem Zivildienst (so etwas gab es früher) bin ich in die Filmbranche gewechselt. Zuerst wollte ich – wie fast jeder! – Regisseur werden, habe aber schnell festgestellt, dass mir die Arbeit am Filmset keinen Spaß macht. Einen Film zu drehen, ist nicht annähernd so spannend, wie sich einen Film auszudenken, also wurde ich Drehbuchautor. In den ersten Jahren habe ich es richtig krachen lassen bei „Alarm für Cobra 11“. Später wurde ich etwas ruhiger und habe einiges fürs ZDF (Soko Rhein Main, Köln, Stuttgart, u.a.) geschrieben. Vor drei Jahren hatte ich die Idee zu „Angstmörder“ und schnell zeigte der Heyne-Verlag Interesse daran. – An Thrillern reizt mich persönlich, mit der Wahrnehmung des Lesers/Zuschauers zu spielen. Manchmal muss man Erwartungen erfüllen, um sie im nächsten Moment brutal zu brechen.

🎙️ Die Charaktere deiner Bücher, der Anwalt Nicolas Meller und seine Partnerin Nina, sind sehr fein und mit viel Tiefe gezeichnet. Wie sind sie entstanden?

Die erste Überlegung war, einen Underdog zu erzählen. Einen nicht sonderlich erfolgreichen Strafverteidiger, der sich mehr von seinem Leben und seiner beruflichen Karriere versprochen hat, aber an seiner Faulheit und mangelndem Ehrgeiz gescheitert ist: Nicholas Meller. Und dann trifft dieser Typ auf Nina Vonhoegen, die vom Leben gezeichnet ist, sich aber nicht unterkriegen lässt. Nina fasziniert Nicholas vom ersten Moment an. Beide haben ein ähnliches Defizit, sie haben den Glauben an sich selbst und an ihre Stärken eingebüßt. Durch den „Angstmörder“ wachsen sie über sich selbst hinaus und finden zueinander. In „Blutacker“ haben die Figuren sich dann weiter entwickelt. Nicholas erliegt der Macht des Geldes und Nina muss dagegen steuern ...

🎙️ Viele Ermittler in Thrillern werden aktuell sehr häufig durch eine eigene dunkle Vergangenheit gekennzeichnet. Ich habe beim Lesen oft den Eindruck, jeder Ermittler hat quasi ein eigenes Trauma, das immer wieder thematisiert wird. Das ist bei deinen Ermittlern nicht so, allerdings hat Nina ein körperliches Handicap. Wie bist du darauf gekommen?

Ganz ehrlich: Ninas fehlender Arm, dazu ist es einfach so gekommen. Ich war selbst ein wenig überrascht, kein Witz. Wie komme ich auf solche Ideen? Vor etwa zehn Jahren war ich mal einer jungen Frau beim Frühstück in einem Hotel begegnet, die nur einen Arm hatte. Ihr Anblick hat sich irgendwie eingeprägt und als ich Nina erfand, hatte sie plötzlich nur einen Arm. Die meisten guten Ideen entstehen nicht am Reißbrett, sondern sind der Intuition geschuldet. Natürlich habe ich überprüft, ob die Behinderung womöglich die Geschichte sprengt oder dadurch in eine falsche Richtung abdriftet. Ich gehe also nicht planlos vor, aber meine Intuition lasse ich mir nicht nehmen.

Was die Traumata von Protagonisten angeht. Ich finde, das wird heutzutage leider inflationär gehandhabt. Aber die meisten Leser finden Protagonisten mit Macken gut. Glaube ich zumindest. Nicholas hat nur eine kleine Macke: er meidet Fahrstühle.

🎙️ Nicolas und Nina verbindet nicht nur die ihre Arbeit, sondern auch ihr Privatleben. Wie wichtig war dir diese Verknüpfung, also die Idee, auch ein bisschen Liebe mit in die Handlung einfließen zu lassen?

Sehr wichtig - ebenso der Humor. Ich mag keine Thriller, die nur ernst und düster daher kommen, deshalb hat Meller eine manchmal lakonische, manchmal sarkastische Art. Auch sein Umgang mit Nina ist von Ironie geprägt. Die Liebesgeschichte hat sich erst während des Schreibens entwickelt. Es stand nicht von Anfang an fest, wie es ausgeht.

🎙️ Was verbindest du mit den (Handlungs-)Orten in deinen Büchern?

Orte sind wichtig. Sie gehören zum Design einer Geschichte. „Angstmörder“ und „Blutacker“ spielen in Köln und in der näheren Umgebung. Dort kenne ich mich aus. Aber ich gehe nicht so weit, jeden Straßennamen zu benennen oder dass der Leser sich in der Stadt auskennen muss. Das Genre „Lokalkrimi“ überlasse ich anderen. „Angstmörder“ und „Blutacker“ könnten auch in einer anderen Stadt spielen – aber das Design ist auf Köln (und die Menschen, die dort leben) zugeschnitten. 

© Lorenz Stassen
🎙️ Was benötigst du, um ein Buch zu schreiben? Hast du - bevor du anfängst - ein Grundgerüst? Entstehen manche Dinge intuitiv oder läuft alles strikt nach Plan?

Ich habe zum Einen ein Grundgerüst, zum Anderen bringe ich einiges an Erfahrung als Drehbuchautor mit. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, nach welchen Prinzipien Geschichten „funktionieren“ (so nennen wir das in der Drehbuchsprache: ein Plot ist nicht gut oder schlecht, er funktioniert - oder eben nicht.) Man darf dramaturgische Regeln niemals dogmatisch betrachten. Meine Meinung ist: Je mehr Erfahrung, handwerkliches Können und Talent ein Autor mitbringt, desto größer ist die Klaviatur, auf der er spielt. Die Intuition darf dabei niemals zu kurz kommen, sonst wirken Geschichten klischeehaft und konstruiert. Intuition bedeutet, dass man sich als Autor auch manchmal selbst überraschen muss. – Das betrifft auch die Wendungen: Die großen Wendungen entstehen vorher, die vielen kleinen während des Schreibens.
 
🎙️ Hast du bestimmte Rituale? Brauchst du etwas, um die optimale Umgebung zum Schreiben zu schaffen? Ich brauche zum Lesen u.a. eine kuschelige Decke, einen Kaffee oder abends ein Glas Wein sowie eine entspannte Atmosphäre.

Ich brauche einen Schreibtisch, einen geschlossenen Raum (manchmal darf die Tür auch offen stehen) und vier Stunden Zeit, in denen ich in Ruhe gelassen werde. Nach diesen vier Stunden reißt meistens der kreative Faden bei mir ab, dann arbeite ich an anderen Dingen oder recherchiere.

🎙️ Was braucht deiner Meinung nach ein guter Thriller?

Glaubwürdige Charaktere. Es gibt Autoren, die für eine überraschende Wendung ihre Charaktere verraten. Das mag ich nicht. Wenn mich die Figuren nicht wirklich an die Geschichte binden, ist es mir egal, ob sie leben oder sterben, heiraten oder sich scheiden lassen. Dann könnte auch eine Atombombe explodieren – egal.

🎙️ Liest du selber auch Thriller? Wenn ja, hast du vielleicht den einen oder anderen Buchtipp aus 2018 für uns, den wir dringend lesen sollten?

Ich lese wenig reinrassige Thriller. Mein literarisches Vorbild ist Michael Connelly, von dem ich alle Harry-Bosch-Romane gelesen habe. „Bosch“ gibt es mittlerweile auch als Serie auf Amazon Prime. Connellys Bücher werden als Thriller verkauft, sind aber eher Krimis mit etwas härterer Gangart. – Meine persönliche Neuentdeckung 2018 ist Gianrico Carofiglio, „Kalter Sommer“, es handelt sich da aber nicht um einen Thriller. Seine Charaktere und sein Schreibstil gefallen mir sehr.

🎙️ Was machst du so, wenn du gerade keine Bücher schreibst?

Ich spiele hobbymäßig Tennis. Gehe gerne spazieren. Schaue Netflix und Amazon Prime. Lese natürlich. Und verbinde meine Recherchen damit, dass ich viele, viele Leute treffe. Höchst unterschiedliche.

🎙️ Und zuletzt natürlich die wichtigste Frage: Dürfen wir uns auf eine Fortsetzung freuen?

Die Fortsetzung, Band Drei der Nicholas-Meller-Reihe, erscheint im Oktober 2019 im Heyne-Verlag. Der Titel steht noch nicht fest.

🎙️ Danke dass du dir die Zeit genommen hast, unsere Fragen zu beantworten.

Gern geschehen. 😊
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Redaktion: Eva Endejan
Lektorat, Layout: Juliette M. Braatz

 

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