Christine Heimannsberg - Gelobtes Land: Gloov

In dieser Dystopie braucht es keinen Virus oder Zombies ... wir Menschen sind genug.

Inhaltsangabe:

Eine Mauer, dahinter eine andere Welt: Die Neue Welt, wie sie diesseits genannt wird. Und sie übertrifft Lores kühnste Erwartungen: Nahrung, Wärme, Unterkunft, ein sicherer Ort für ihren Bruder Jame – es scheint an nichts zu fehlen. Lore brennt darauf, ein vollwertiges Mitglied dieser auf Gleichberechtigung und ökologische Nachhaltigkeit ausgerichteten Gesellschaft zu werden, die von dem charismatischen Jefferson Maklaren angeführt wird. Dessen Gegenspielerin Sisdal umwirbt Lores Freund Jul für ihre eigenen undurchschaubaren Ziele. Lore gerät zunehmend zwischen die Fronten. Und dann ist da noch das Buch Liebe und sein brisanter Inhalt.
GLOOV – Der zweite Band zur Trilogie über Hoffnung, Glaube und Liebe in einem vom Klimawandel und Machtspielen geprägten Europa der Zukunft.
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Mit dem zweiten Band von "Gelobtes Land" durfte ich eine klasse Geschichte mit starken Charakteren weiterverfolgen. Ich war dank des frischen, flüssigen Schreibstils gleich wieder in Lores (Gefühls-)Welt. Lore, Jul, Jame und Sim sind im Gelobten Land angekommen. In der neuen Welt, wie sie von den Neuländern genannt wird, scheint alles perfekt. Eine der großen Maximen ist: "Behandle alles mit Respekt: Mensch, Natur, Nahrung, Güter. Das ist die Basis unserer Gesellschaft."

Für Lore und Jame scheint es zunächst wunderbar, es gibt Nahrung, Technologie, Ökologie, Schulungen und Perspektiven, keine Gewalt, und die Liebe steht ganz oben. Was kann daran falsch sein? Vielleicht die Tatsache, dass "Liebe muss fliessen" auch bedeutet, dass Familien nicht zusammenleben dürfen, Eltern ihre Kinder nach kurzer Zeit des Beisammenseins in die Hände der Gemeinschaft geben müssen und Monogamie als Egoismus eingestuft wird.
 
Während Lore und Jame versuchen, sich so gut wie möglich einzufügen, fühlen Jul und Sim sich in ihrer Freiheit eingeschränkt und zweifeln an dem System, an dessen Spitze Jefferson Maklaren steht und Gleichheit für alle predigt. Anfangs planen Jul und Lore noch, nach der Zeit im Camp ihr eigenes Leben auf ihrem eigenen Hof zu führen, doch es kristallisiert sich bald heraus, dass so etwas in der Neuen Welt nicht vorgesehen ist. Stattdessen wird man in einem Gebiet eingesetzt, in das man am besten passt, und nach Möglichkeit hat man viele Partner - man muss ja teilen können. Als Lore - froh darüber, einfach nur sicher zu sein - sich immer besser einfügt, distanzieren sich Jul und Sim von ihr, und Jul wendet sich der mysteriösen Sisdal zu, die Jefferson Maklaren stürzen und die Neue Welt in die vermeintlich wahre Freiheit führen will. Doch was ist wahr, was ist falsch? Läuft nicht alles super?

Die Autorin Christine Heimannsberg hat mich auch mit diesem gesellschaftskritischen Werk wieder komplett in den Bann gezogen. Sie beschreibt absolut authentisch ihre Charaktere und deren Gefühle und greift Themen auf, die heute auch heute extrem wichtig sind. 
 
Gleich am Anfang beschreibt sie das Flüchtlingslager, und mein Gedanke war, dass ich mir dieses Lager in der Realität wünschen würde. Doch auch hier ist nicht alles Gold, was glänzt. Tatsächlich wurde teilweise eine bedrückende, beängstigende Stimmung hergestellt, denn dank der Armbänder, die jeder tragen muss, wird jede Gefühlsregung sichtbar farblich angezeigt und aufgezeichnet. Wut, Lüge, Liebe,  Eifersucht - alles sichtbar. Und wer weiß, was hörbar ist. Das wirft auch einige Fragen zur heutigen Technologie auf. Täglich geben wir irgendwelchen Apps freiwillig die Erlaubnis, auf alle unsere Daten zuzugreifen und tragen unser Smartphone mit Zugriff aufs Mikrofon (man braucht ja WhatsApp und so!) überall mit hin. Zum Einsatz kommen die Armbänder ausserdem bei den "Beichten", die mich sehr schockiert haben. Diese Beichten muss jeder ablegen. Sie sollen dazu dienen, Dinge zu verarbeiten, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Jedoch wird das auch unter psychischem Druck vorgenommen, der an geistige Folter grenzt und auch an heute gängige Praxen erinnert. Immer und immer wieder muss Lore dieselben Fragen über die Vergangenheit beantworten, bis das Armband nicht mehr ausschlägt.
 
"Drei endlose Stunden später taumle ich erschöpft aus dem Beichtraum. Bei jeder zweiten Frage schien das Gerät anzuschlagen, vermutlich ein Resultat der ersten Lüge. Irgendwann wusste ich selbst nicht mehr, was wahr und was falsch ist." (Zitat Seite 29)

Insgesamt gibt es wirklich viele wichtige Themen in diesem Buch, allen voran: Liebe. Liebe ist das Buch, auf dem alles aufgebaut ist. Wie Christen die Bibel haben, haben die Neuländer Liebe. Doch was, wenn man verschiedene Interpretationen einer solchen Schrift hat? Während Jefferson Maklaren seine Interpretation fast schon propagiert und sich als Oberhaupt frenetisch feiern lässt, hat Sisdal und eine kleine Gefolgschaft ganz andere Ansichten ...
Hier wurde gut gezeigt, wie so etwas nach hinten losgehen kann - auch unsere Menschheit hat Ähnliches bereits erlebt. Mir stellte sich bei diesem Buch oft die Frage, ob wir Menschen überhaupt fähig sind, im mit Mensch und Natur Einklang zu leben. Selbst die bestgemeintesten, unschuldigsten Ideen können böse instrumentalisiert werden, und das hat die Autorin in einer wunderbaren, aber auch nachdenklich stimmenden Geschichte absolut glaubhaft verpackt. 

Die Charaktere waren wie beim letzten Teil realistisch gezeichnet, und ich konnte mich absolut in sie hineinversetzen. So bin ich mit Lore durch Panikattacken und Zweifel gegangen, habe Jul vermisst, mich um Jame und Sim gesorgt, habe Lore Unverständnis und Liebe entgegengebracht, wollte sicher sein, wollte frei sein, wollte kämpfen. Überzeugt und oft mit Fragen zurückgelassen, hat mich auch Sisdal: strategisch, clever, manipulativ und doch mit Herz. Fraglich nur, ob sich da Herz oder Verstand durchsetzt. Und dann war da Kasper, dessen Gefühle und Gedanken so nachvollziehbar waren, dass es einem das Herz bricht, nachdem seine Eltern ihn damals aufgrund der Vorgabe weggeben mussten. Immer auf der Suche nach etwas, um die Leere zu füllen, und begierig darauf, es rechtzumachen, wenn er glaubt, er hat Wärme, Anerkennung und Verständnis gefunden. 

Sehr beeindruckend wurden auch Stimmungen und die Auftritte von Maklaren beschrieben. Man fragt sich, ob jemand mit soviel Überzeugung, der selbst so sehr an "Liebe" glaubt, nicht rechthaben muss, denn er schafft es, alles plausibel zu machen, und die Menschen feiern ihn frenetisch. Ich stand quasi in der Menge und habe die Menschen komplett ausflippen sehen. Es ist eine Inszenierung eines übertriebenen Fernsehpredigers, dachte ich mir oft.

Dennoch zweifelt man bis zum Schluss, und zum Ende hin nimmt die Geschichte nochmal richtig Fahrt auf, wirklich sehr gelungen!

Persönliches Fazit: Ich bin schwer begeistert und kann es nicht erwarten, bis Christine Heimannsberg den letzten Teil rausbringt. Das Ende war das hier nämlich noch lange nicht. Definitiv empfehlenswert für jemanden, der gerne eine tolle Geschichte mit starken Charakteren liest, die auch zum
Nach- und Umdenken bewegt. 
 
© Rezension, 2019, Alice
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Bibliografie:
 
Verlagselfpublished / ISBN: 9789463860079
Genre: Roman
Erscheinungsdatum: -
Seitenanzahl: 380
Format: Taschenbuch: 13,95 € / E-Book: 3,99 €
Reihe: Teil 2
Leseexemplar: Ja
 
 

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