„Niemand hat unendliche Kräfte“
Ein sehr persönliches Interview mit Astrid Korten über ihren neuen Thriller „ICH - Im Dunkel der Angst“.
Recensio
Online: Du hast vor kurzem den Psychothriller „ICH – Im Dunkel
der Angst“ geschrieben. Ein äußerst spannender und bewegender
Thriller. Worum geht es?
Astrid Korten:
„Eine Schülerin begeht Selbstmord, weil sie in der Schule
gemobbt wurde. Die Mutter (ICH-Protagonistin) ist völlig verzweifelt
und geht – wie der Leser dem Covertext entnehmen kann – durch die
Hölle. Ein Jahr später trifft die Mutter die ehemalige Lehrerin
ihrer Tochter und deren Schwester auf dem Friedhof wieder. Hier
beginnt die spannende Geschichte. Die Geschwister erhalten eines
Tages zeitgleich dieselbe Nachricht: Willkommen im Dunkel der Angst,
und müssen um ihr Leben fürchten.
Recensio Online:
Du hast mir anvertraut, dass besonders dieser Roman eine große
Herausforderung für dich war. Warum?
Astrid Korten:
Er handelt von einer Mutter, die den Tod ihres Kindes nicht
verkraftet hat. Ein heikles Thema, das sehr berührt. Für mich
stand seit vielen Jahren fest, dass ich dieses Buch irgendwann
schreiben musste.
Recensio Online:
Warum „musste“?
Astrid Korten:
Ich habe vor vielen Jahren meine Schwester und meine kleine Tochter
durch einen Verkehrsunfall verloren. Meine Schwester war damals 19,
meine Tochter 4 – wie die kleine Mia. Deshalb ist dieser Thriller
in gewisser Weise ein sehr persönlicher Roman.
Recensio Online:
Die Gefühle der Hauptfiguren in „ICH - Im Dunkel der Angst“ sind
spürbar und authentisch. Warum hast du für dieses emotionale
Thema das Genre Psychothriller gewählt?
Astrid Korten:
Weil der Roman für mich nicht das geeignete Genre war. Beim
Schreiben eines Psychothrillers kann ich mich von meinen eigenen
Emotionen distanzieren und so fiktive Personen entstehen lassen, die
mit mir nichts gemein haben. Dennoch muss ich gestehen, dass es mir
hier nicht ganz gelungen ist.
Recensio Online:
Das scheint mir bei diesem Thema auch besonders schwierig.
Astrid Korten:
Ich denke, dass es wichtig ist, dass man Gefühle zulässt und sie
wahrnimmt. Ich habe damals und heute gelernt, mit ihnen zu leben. Als
meine Schwester starb, war ich ein zehnjähriges Mädchen, das die
Trauer seiner Mutter beobachtete. Als Kind nimmt man den Tod anders
und mit einer gewissen Neugierde wahr. Ich habe Fragen nach dem
Verbleib meiner Schwester gestellt und ihren Tod nicht als etwas
Unumkehrbares gesehen. Als ich aber irgendwann realisierte, dass sie
nicht mehr zu mir zurückkommen würde, legte ich ihr meine
Spielsachen aufs Grab. So fühlte ich mich ihr nah. Die Trauer meiner
Mutter konnte ich damals in ihrer ganzen Dimension nicht wirklich
erfassen. Ich war noch zu jung. Das kam erst später, als meine
eigene Tochter ums Leben kam.
Recensio Online:
In dem Psychothriller kann die Protagonistin ICH sich nicht vor sich
selbst schützen und begibt sich auf einen Rachefeldzug. War es
schwer, sich für diesen Weg der Hauptfigur zu entscheiden?
Astrid Korten:
Nein, denn
das macht ja einen Thriller aus. Aber wenn eine Mutter ihr Kind
verliert, muss sie sich auf den Schmerz und die Trauer mit all ihren
Facetten einlassen. Auch die negativen Gefühle wie Wut sind
zulässig, aber sie dürfen nicht dein Leben bestimmen, wie es bei der
Protagonistin ICH der Fall ist.
Recensio Online:
Wohin trägt man die eigene Trauer?
Astrid Korten:
Ich habe anfangs viel über den Tod meiner Tochter geredet. Ich
glaube, es ist auch professionell, sich darüber auszutauschen, mit
dem Partner, mit der Familie und mit Freunden. Nur offen darüber zu
sprechen, schützt vor der Isolation und nimmt deinem Gegenüber
auch die Angst, dich auf den Tod eines Kindes anzusprechen. Menschen
haben diesbezüglich oft Berührungsängste. Ich war nach Annas Tod
oft wütend, wenn mich jemand gefragt hat: „Wie geht es dir?“ Wie
soll es einer Mutter schon gehen, wenn sie ihr Kind verliert? Dass
diese Frage aber nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit ist, nimmt man in
der Trauerphase nicht wahr.
Recensio Online:
Wie gehst du heute damit um?
Astrid Korten:
Heute sind da die Erinnerungen an die schönen Momente mit meiner
Tochter, die gemeinsamen Fotos, die ich mir hin und wieder anschaue.
Der Schmerz wurde „eingetütet“, meine Familie und ich atmen ihn
nicht mehr ein. Das ist gut so. Wir lachen, wenn ihre Streiche zur
Sprache kommen. Sie war ein witziges Kind. Ich glaube, dass jeder
seinen Weg finden muss, um mit einem solchen Trauma umzugehen.
Recensio Online:
In dem Thriller geht die Figur Hannah zur Beerdigung des Kindes, das
sie überfahren hat. Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht?
Astrid Korten:
Meine Mutter hat diese Erfahrung gemacht, und ich erinnere mich
noch heute an ihre Reaktion. Sie war so unglaublich wütend darüber
und hat an manchen Tagen so einiges zerschmettert. Ich habe das
selbst nicht erlebt. Der Unfallfahrer meiner Tochter hat mich
allerdings einige Monate nach dem Tod meiner Tochter aufgesucht. Das
war schwierig.
Recensio Online:
Was hat er sich denn von dem Besuch bei dir erhofft?
Astrid Korten:
Er wollte mich um Entschuldigung bitten.
Recensio Online:
Du betonst das "Ent"?
Astrid Korten:
Vielleicht war die Bitte und das damit verbundene Gefühl auch
deshalb so quälend, weil er jemanden brauchte, der ihn von seinen
Schuldgefühlen erlöste. Ich konnte es nicht. Aber ich habe ihn ein
Jahr später angerufen.
Recensio Online:
Warum?
Astrid Korten:
Der Fahrer litt unter extremen
Schuldgefühlen. Ich konnte sie ihm nicht nehmen, aber ich konnte
sagen, dass ich ihm verziehen habe. Eine Geste, die auch mir geholfen
hat. Ich sehe seitdem genauer hin, höre besser zu, wenn Menschen mit
mir sprechen.
Recensio Online:
Zu der Erkenntnis kommt auch die Hauptfigur „ICH“.
Astrid Korten: Stimmt. Das Ausmaß ihres Konfliktes ist
allerdings rein fiktiv. Die Figur ist völlig durchgeknallt und hätte
Hilfe gebraucht. Niemand hat sich in der Trauerphase um sie
gekümmert. Das ist schlimm. Sie hat auch keine Unterstützung
angenommen. Dadurch stößt die Figur in dem Buch an Grenzen, die das
Fass überlaufen lassen. Niemand hat unendliche Kräfte.
Recensio Online: Liebe Astrid, ich
danke dir recht herzlich für dieses sehr persönliche Gespräch und
für deinen neuen Psychothriller „ICH – Im Dunkel der Angst“.
Astrid Korten: Ich bedanke mich auch bei dir, Juliette!
In der
Ostersonderaktion gibt es das E-Book für € 1,99 und das Printexemplar für € 9,90 auf allen
gängigen Plattformen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Danke für deine Nachricht!