Ketchum, Jack & McKee, Lucky - Ich bin nicht Sam



Lieben wir den menschlichen Körper oder die menschliche Seele?


Inhaltsangabe:

Patrick wird durch ein Weinen aus dem Schlaf gerissen. Seine Frau Sam liegt zusammengerollt auf dem Boden des Schlafzimmers und schluchzt.
Als er versucht, Sam zu trösten, lässt sie sich nicht von ihm anfassen. Und dann dreht sie sich zu ihm um und sagt mit der unschuldigen Stimme eines kleinen Mädchens: »Ich bin nicht Sam.«
In den folgenden Tagen muss Patrick zusehen, wie seine geliebte Frau eine völlig neue Persönlichkeit entwickelt. Die Frau, die einst Sam Burke war, ist jetzt die fünfjährige Lily ...

Packender psychologischer Schrecken. Lieben wir den menschlichen Körper oder die menschliche Seele?

Ketchum und McKee haben mit ICH BIN NICHT SAM ein beunruhigendes kleines Meisterwerk geschaffen.
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Selten starre ich auf die letzte Seite eines Buches, halte inne, hadere mit mir und frage mich: Was habe ich da eigentlich gelesen?

Dass Geschichten Spuren hinterlassen, ist mir natürlich nicht neu. Auch nicht, dass sie nachwirken können, sich ins Bewusstsein schleichen, in die Seele kriechen und lange dort verweilen. Was aber, wenn man all das nicht packen kann? Wenn man kaum Worte findet für das, was die Geschichte mit einem gemacht hat?

Sam und Patrick sind seit vielen Jahren glücklich miteinander verheiratet. Sie stehen mitten im Leben, genießen die Momente der Zweisamkeit, sind für einander nicht nur Lebenspartner, sondern auch bester Freund - und fühlen sich auch nach all der Zeit körperlich stark zueinander hingezogen. Und in einer Nacht passiert es dann: Sie haben Sex, und plötzlich ist nichts mehr wie zuvor.

Was für ein Gefühl muss das sein, seiner geliebten Frau in die Augen zu blicken, sie bei ihrem Namen zu nennen und sie mit kindlicher Stimme wütend sagen zu hören: Ich bin nicht Sam!

Patrick, aus dessen Sicht primär erzählt wird, ist mir sofort ans Herz gewachsen. Ich konnte seine Verwirrung deutlich spüren; seine Zweifel, ob Sam ihm nur einen Streich spielt, nachvollziehen; seine Angst, dass die Ursache eine schwerwiegende gesundheitliche Krankheit ist, verstehen.

Hier und da habe ich mich jedoch auch dabei ertappt, dass ich ihm nicht zustimmend folgen konnte. Er hat einige Entscheidungen getroffen, die sich mir nicht ganz erschließen. Einerseits. Und andererseits denke ich da an dieses ganz besondere Ende und frage mich, ob es womöglich etwas mit der Eingangsfrage zu tun haben könnte, dass er so handelte: Lieben wir den menschlichen Körper oder die menschliche Seele?

Wir erleben Patrick in ganz alltäglichen Situationen, die für ihn allerdings große Herausforderungen bedeuten. Es ist eben etwas anderes, wenn man nicht mit einer erwachsenen Frau durch die Stadt geht, sondern mit einem kleinen Mädchen an der Hand. Man muss plötzlich auf Dinge achten, über die man sich bisweilen keine Gedanken zu machen brauchte.

Zitat Seite 49:

Er wirft Sam einen seltsamen Blick zu. Einen verwirrten Blick. Also sehe ich auch hin. Du liebe Zeit! Sie bohrt in der Nase. Scheiße, ich kann es nicht glauben!


Zugegebenermaßen musste ich an dieser Stelle lachen. Weil die Vorstellung, dass eine erwachsene Frau öffentlich popelt, so unglaublich ist, dass ich gar nicht anders konnte. An seiner Stelle wäre ich auch peinlich berührt und fassungslos gewesen.

Dann gab es diese emotionalen Momente, in denen ich seine schmerzliche innere Zerrissenheit spüren konnte. Das Verlangen nach seiner Frau, das er nicht ausleben durfte. Wie lange konnte er es noch unterdrücken? Ist es verwerflich, sexuelle Erregung zu spüren, wenn man den nackten Körper seiner Frau sieht, aber weiß, dass gerade ein fünfjähriges Mädchen aus ihm spricht? Keine Frage, die sich leicht beantworten lässt, nehme ich an.

Und auch die Gespräche mit ihr fehlten ihm sehr. Schließlich war Sam seine Stütze, seine Muse, seine Beraterin, seine Zuhörerin. Der Mensch, zu dem er eine intensive Verbindung hat. Manch einer würde es "Seelenverwandtschaft" nennen. Aber worüber spricht man mit einer Fünfjährigen?

Ich hätte mir noch ein paar Passagen aus ihrer Sicht gewünscht. Einfach auch, weil ich es sehr interessant finde, wie unterschiedlich Menschen abhängig ihres Alters auf Extremsituationen reagieren. Ich vermute, dass Kinder weniger gestresst damit umgehen würden, weil ihnen die Erfahrungen fehlen, und weil sie noch einen ganz anderen Blick auf die Dinge haben.

Das mag für euch, liebe Leserinnen und Leser, alles ziemlich verwirrend klingen, aber so ist diese Geschichte nun einmal: verwirrend. Sie zwingt uns, innezuhalten und nachzudenken. Die großen Brotkrümel nicht sofort hinunterzuschlucken, sondern ein wenig auf ihnen herumzukauen bis der Speichel sie zersetzt und die Süße hervorgelockt hat. Man muss sich die Zeit nehmen, die dieses Buch braucht. Es lohnt sich!

Persönliches Fazit: Mit tiefem Timbre pointiert erzählen Ketchum und McKee eine Geschichte, die nicht einfach nur unterhält, sondern an den gesellschaftskritischen Grundmauern unserer Zeit rüttelt. Ich bin nicht Sam hat mich von der ersten Seite an gepackt, mich herausgefordert, mit meinen Emotionen gespielt - und war dabei so raffiniert leichtfüßig, dass ich mir der sogartigen Spannung erst nach Beenden des Buches wirklich bewusst wurde.


Die Printbücher der Reihe Festa Special wird es nicht im Buchhandel, sondern nur auf der Webseite des Festa Verlages geben, daher sind sie ohne ISBN. Die E-Books kann man jedoch auf allen gängigen Plattformen käuflich erwerben.




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Bibliografie:

Autoren: Jack Ketchum, Lucky McKee
Verlag: Festa
ISBN: -
Reihe: Festa Special 1
Genre: Roman
Erscheinungsdatum: 10.2019
Seitenanzahl: 176
Format: Taschenbuch: 18,99 € / E-Book: 4,99 €
Leseprobe: Blick ins Buch
Leseexemplar: Ja

Rezension: © Recensio Online, Juliette
Cover Original: © Festa Verlag


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