Interview mit: Dr. Manfred Lukaschewski


Mordermittlungen kennen wir alle, oftmals leider nur aus Büchern. Die Realität sieht oft ganz anders aus. Dr. Manfred Lukaschewski ist als Verfasser des „Kompendium der Kriminalistik“ einer der führenden Autoren im Bereich kriminalistischer Sachliteratur. Als Ballistiker und Diplomkriminalist verfügt er auch über den praktischen Hintergrund: Er leitete eine Mordkommission. Heute gibt er uns einen kleinen Einblick in die Unterschiede zwischen den fiktiven Ermittlungen und den echten und erzählt von seinem außergewöhnlichsten Fall.
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🎙 Sie haben ursprünglich Physik studiert, bevor Sie zur Kriminalistik gewechselt sind. Das liest sich wie zwei Studiengänge, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Was haben die beiden gemeinsam, oder anders gefragt: Wie kam der Richtungswechsel?

Nun, so unterschiedlich, wie es auf den ersten Blick erscheint, sind diese zwei
Studiengänge gar nicht. Kriminalistik ist ja im Grunde ein Konglomerat aus den Naturwissenschaften. Sie entwickelt Mittel und Methoden, um eine Straftat (Handeln durch Tun oder Unterlassen) anhand der materiellen Veränderungen (Spuren) nachvollziehbar und beweisbar zu machen. In den Kriminal-Technischen-Instituten arbeiten fast durchweg Naturwissenschaftler mit akademischem Hintergrund. Ich bin kurz vor dem Physik-Diplom gefragt worden, ob ich mir eine Tätigkeit in der Forensik vorstellen könnte. Ich hab dann unter der Bedingung zugesagt, nicht in einem KTI, sondern in einer Mordkommission eingesetzt zu werden. (Ich will nicht verhehlen, dass eine gewisse Portion Abenteuerlust bei dieser Entscheidung durchaus dabei war)
Dem wurde entsprochen und ich hatte dann sogar noch die Möglichkeit, an der Humboldt-Uni Berlin Kriminalistik zu studieren (das ging an dieser Uni bis 1994) und auch zu promovieren.

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🎙 Der Schwerpunkt Ihrer Arbeit lag in der Ballistik. War das auch die Richtung, die Sie am faszinierendsten fanden?

Zu Beginn meiner Tätigkeit war es tatsächlich die Ballistik, einfach deshalb, weil dieser Teilzweig der Kriminaltechnik die größten Schnittmengen mit der Physik aufweist. Es ist wichtig, die entsprechende Waffe zuordnen zu können, denn die Waffe ist das Bindeglied zwischen Opfer und Täter. Außerdem sind durch die Ballistik die Anhaltspunkte zu finden, die direkt zum Täter führen (z.B. den Standort des Schützen zu kennen, heißt ja auch, dort Spuren vom Täter zu finden und zu sichern). Nach dem zweiten Studium und der Übernahme der MK als Leiter konzentrierte ich mich zunehmend auf die Daktyloskopie (Fingerabdrücke), der sichersten Methode, um eine Identität verifizieren zu können.

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🎙 Was mochten Sie an Ihrer Arbeit bei der Polizei am liebsten?

Die Arbeit bei der Kripo, und hier im Speziellen in einer Mordkommission, war deshalb für mich so interessant, weil es viele Facetten aufweist, die meinem Naturell sehr nahe kommen. Da ist zunächst die Nähe zur wissenschaftlichen Arbeit und diese dann noch gepaart mit den forensischen Teilgebieten Rechtsmedizin und/oder Rechtspsychologie. Das sich Hineinversetzen in die Gedankenwelt sowohl des Opfers als auch des Täters ist eine faszinierende Seite dieser Arbeit. Es gilt, dem Täter seine Grenzen beweisbar aufzuzeigen.
Ein zweiter, nicht unwichtiger, Gedanke kommt noch hinzu. Den eigentlichen Auftrag, ein Tötungsverbrechen aufzuklären, bekomme ich zwar de facto vom Staatsanwalt, nimmt man es aber genau, kommt dieser Auftrag vom Opfer, … und das ist eine Verpflichtung.

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🎙 Wie nah an der Realität sind Krimis? Hier gibt es ja immer viel Action und wenig Papierkram. Kann man sich Ermittlungen wirklich so vorstellen? Wie groß sind die Unterschiede?

Krimis im TV oder auch in Buchform haben ja nicht die Aufgabe, den Leser über die Vorgehensweise der Kripo exakt zu informieren, dafür gibt es Fach- /Sachliteratur (z.B. Phänomenologie einer Strafsache). Sie haben die Aufgabe, den Zuschauer oder den Leser zu unterhalten. Leider passieren aber zu viele sachliche Fehler, die dann ein verzerrtes oder sogar falsches Bild auf die Arbeit der Kripo werfen. Dagegen versuche ich anzuarbeiten.
Zu meinen vielen Kontakten zählen natürlich auch viele Krimi-Autoren/Innen, die sich bei mir Rat holen, weil sie sich um Authentizität bemühen. Künstlerische Freiheit hat da ihre Grenzen, wo sie Unmögliches beschreibt oder juristische Grenzen überschreitet. So gesehen, sind TV-Krimis oder -bücher selten realistisch, viele Szenen sind übertrieben und/oder der Dramaturgie geschuldet.

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🎙 Ist die Arbeit zwischen der Gerichtsmedizin, den Ermittlern und der Staatsanwaltschaft wirklich so eng, wie es oft dargestellt wird? Oft finden sich alle bereits am Tatort zusammen und ermitteln dann gemeinsam.

Die Zusammenarbeit ist eng, muss eng sein, allerdings nicht so, wie in Filmen oft zu sehen ist. Dass ein Rechtsmediziner (der Begriff „Gerichtsmediziner“ ist veraltet und wird nicht mehr verwendet) am Tatort erscheint, ist nur in seltenen Ausnahmefällen zu erwarten (Katastrophenfälle, Mehrfachtötungen o.ä.), gleiches gilt für den Staatsanwalt. Dass ein Rechtsmediziner ermittelt (Tatort Münster) ist in Wirklichkeit grober Unsinn. Ein Rechtsmediziner hat laut StPO keinerlei Berechtigung, in den Ermittlungsvorgang aktiv einzugreifen … anders gesagt: Er darf nicht ermitteln. Anders beim Staatsanwalt, denn die Staatsanwaltschaft hat die Leitung in einem Ermittlungsverfahren, die Kripo ist quasi das Hilfsorgan des Staatsanwaltes.

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 🎙 Wie kann man sich einen Arbeitstag als Kriminalkommissar vorstellen? Da es ja kein nine-to-five-Job ist, muss man sich wahrscheinlich jeden Tag aufs neue überraschen lassen, oder?

Zunächst zum Verständnis: Den Kriminalkommissar an sich gibt es so nicht, das ist nur ein Dienstgrad. Vielleicht nur zur Kenntnisnahme mal die Einteilung der Dienstgrade, von unten angefangen: 


Kriminalkommissar → Kriminaloberkommissar → Kriminalhauptkommissar →
Erster Kriminalhauptkommissar → Kriminalrat (mein letzter Dienstgrad) →
Kriminaloberrat.


Einen typischen Arbeitstag zu beschreiben, ist nahezu unmöglich, weil es ihn an sich nicht gibt. In der Regel ist es schon ein „normaler“ Arbeitstag (betrachtet man lediglich die Dienstzeit), aber gespickt mit zahlreichen Ausnahmen. 60 – 70 % ist Arbeit in der Dienststelle (Papierkram, Vernehmungen, Zusammenarbeit mit StA, KTI, Rechtsmedizin usw.). Ich schätze die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit trotzdem als über dem Durchschnitt liegend ein … vielleicht 55 – 60 Stunden.

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🎙 Stumpft man mit der Zeit ab, wenn man so viel mit dem Tod zu tun hat? Oder ist es leicht, sich von all dem zu distanzieren und sich psychisch nicht damit zu belasten?

Ich wage mal einen Vergleich, auch weil ich nicht weiß, in welchem Bereich
Sie tätig sind.
Ist es nicht so, dass jeder Arbeitende versucht, diese Arbeit so professionell wie möglich zu machen (so hoffe ich jedenfalls)? Auch in diesem Fall ist professionelles Herangehen die Grundlage dieser Arbeit. Natürlich ist es ein außergewöhnlicher Beruf, und ich behaupte auch, dass es Berufe gibt, die man nicht erlernen kann. Sich jeden Tag, und das über Jahrzehnte, mit dem Tod auseinanderzusetzen, ist durchaus eine physische, aber mehr noch, eine psychische Herausforderung. Eine fundierte Ausbildung und ein durchaus vorhandenes Gewöhnen sind Schutz, nicht immer ausreichend, aber immerhin. Natürlich gibt es Situationen, die besonders belastend sind (besondere Grausamkeit, Kinder, um nur zwei Beispiele zu nennen), dann hilft es, darüber mit Kollegen zu reflektieren oder den Mut zu haben, vom Fall entbunden zu werden.

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🎙 Dürfen Sie uns von einem Fall erzählen? Den Sie außergewöhnlich fanden, der Sie überrascht hat oder der Sie besonders mitgenommen hat?

Die Aufklärung eines Mordes nach 11 Jahren ist außergewöhnlich, finde ich.

Die Kurzfassung:

Wir hatten ein frisches Tötungsdelikt aufzuklären mit folgenden modus operandi (Vorgehensweise): Tötung des Lebenspartners durch stumpfe Gewalt (flache Seite eines Beils und Verletzung des vorderen Gesichtsschädels) und Selbstverletzung (bewiesen anhand vorgefundener Blutspuren). Es gelang relativ schnell, den vermeintlichen Täter zu ermitteln und vorläufig festzunehmen. Jetzt kommt Kommissar Zufall in Form eines inzwischen pensionierten ehemaligen Mitarbeiters durch die Tür und meint, dass ihm der modus operandi bekannt vorkommt. Da Mord nicht verjährt, werden die Akten nicht geschlossen, sondern lediglich archiviert. Wir haben dann diese Akte quasi wieder geöffnet, ein Mordfall, 11 Jahre zurückliegend mit gleicher Vorgehensweise. Ich holte mir von meinem Chef die Erlaubnis, nochmal den Tatort dieser 11 Jahre zurückliegenden Tat kriminaltechnisch anzusehen. Kurze Rede, wir fanden nach drei Tagen und unzähligen Spurenträgern das gesuchte Fremdblut (ein paar Spritzer unter dem Baldachin der Deckenlampe), dass die Kollegen des KTI eindeutig dem Täter (der Gleiche, den wir gerade mit der frischen Tat konfrontieren konnten) zuordnen konnten. Nach kurzem Vorhalt in der Vernehmung folgte ein Geständnis.

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🎙 Sie haben als Autor bereits einige Bücher veröffentlicht. Über das „Kompendium der Kriminalistik“, bis hin zu „Morden für Anfänger“ und „Morden für Fortgeschrittene“ handelt es sich hier um Bücher, die Wissen vermitteln. Haben Sie geplant, auch mal einen Krimi oder Thriller zu veröffentlichen?

Nein, das überlass ich denen, die es können.

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🎙 Ich kann mir vorstellen, dass man als Experte nicht gerne Geschichten liest, die die eigene Arbeit nicht richtig widerspiegeln. Haben Sie einen Buchtipp in Richtung Krimi/Thriller für unsere Leser, der die Ermittlungsarbeit realistisch darstellt?

Da ich keine Krimis lese, kann ich auch keine seriösen Tipps abgeben, tut mir leid. Oder … wenn der Leser hier durch ist, dann wird er wissen, warum ich keine Krimis lese oder anschaue.

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Redaktion: Katharina 
Korrektorat: Juliette 
Grafik: Anastasia (verwendet wurde eine Grafik von shutterstock) 

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