Eine Geschichte, die uns über den Tellerrand schauen lässt.
Inhaltsangabe:
Als Tochter eines Drogendealers hat Wavy schon früh gelernt: Traue niemandem. Am wenigsten deinen Eltern.
Die Achtjährige ist den schizophrenen Launen ihrer Mutter ausgeliefert und kümmert sich ganz alleine um den Haushalt und ihren kleinen Bruder. Frieden findet sie nur beim Betrachten des Sternenhimmels über den Feldern hinter dem Elternhaus. Und dort begegnet sie dem Riesen Kellen, dem tätowierten Ex-Häftling mit einem Herz aus Gold. Er erweckt in Wavy ein Gefühl, das sie inmitten ihrer Welt aus Gewalt und Vernachlässigung für unmöglich gehalten hat.
Als eine Tragödie Wavys Familie auseinanderreißt, wird unter dem strengen Blick der Welt das, was Wavy so schön erscheint, auf einmal hässlich …
Provokant und einfühlsam erzählt Bryn Greenwood in ihrem Bestseller von zwei verlorenen Seelen und deren sonderbarer, ja unmöglicher Liebe. Eine schockierende und eindringliche Coming-of-Age-Geschichte, jenseits von Moral und Konvention.
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Der Festa Verlag steht seit jeher primär für Horror, Dark Romance und vor allem für Extremes. Titel und Cover dieses Buches muten aber so gar nicht extrem an. Auch die Inhaltsangabe liest sich zwar im ersten Moment schockierend, aber trotzdem ganz anders als alles, was ich von Festa gewohnt bin. So kam es auch, dass ich entsprechend neugierig an die Geschichte herangegangen bin. Was erwartet mich? Eine Liebesgeschichte? Nein. Hier geht es auch nicht um brutale Gewalt. Vielmehr hatte ich das Gefühl, dass die Autorin eines erreichen wollte: der Leser soll sich abwechselnd wohl und unwohl fühlen. Er soll an seine Grenzen gehen und seinen Horizont erweitern. Er soll sich ständig fragen: Ist das richtig so?
Wavy musste schon früh erwachsen werden, denn ihr kleiner Bruder wollte versorgt werden, auf ihren Vater konnte sie nicht zählen und ihre Mutter war dazu nicht in der Lage.
„Aber eines Tages wachte sie auf und war die unheimliche Mama statt der guten Mama. Und da wusste ich, dass es nicht anders werden würde. Man konnte nie wissen, welche Mama sie war, wenn sie aufwachte.“ (Zitat)
Wegen ihrer Schizophrenie war auf sie kein Verlass, das lernte Wavy schon früh. Und sie weiß auch, wie sie sich zu verhalten hat, um ihrer Mutter nicht unnötig Munition zu geben. Sie kennt es nicht anders; weiß nicht, wie es ist, ein Kind sein zu dürfen. Nur einen kleinen Rückzugsort erlaubt sie sich: die Sterne bei Nacht. Dort auf dem Feld, abgeschieden wie auf einer Insel, lernt sie Kellen zufällig kennen. Einen erwachsenen Mann, ein Ex-Häftling - und ganz sicher nicht jemand, den ihre Mutter gutheißen würde. Er wird ihr Fels, ihre Zuflucht.
Was ich auch schreibe, wird der Story nicht gerecht. Selbst nach dem Beenden des Buches hält es mich immer noch gefangen und gibt meine Gedanken nicht frei. Es ist komplex und vielschichtig, und es geht um so viel mehr, als der Klappentext vermuten lässt. Ein ums andere Mal hatte ich Gänsehaut, wenn mir klar wurde, wie intensiv Wavys Gefühle bei mir ankommen. Die Entwicklung von einem Kind zu einem Teenager bis hin zu einer erwachsenen Frau ist so berührend erzählt, dass man selbst ein Teil von Wavy wird.
Der Autorin ist es durch den Perspektivwechsel gelungen, beide Ansichten einfühlsam darzustellen. Kellen ist vielleicht nicht der Traumschwiegersohn, aber ebenso ist er nicht pädophil. Moralisch mag die Beziehung zwischen den beiden nicht vertretbar sein. Aber ich konnte Wavy so sehr verstehen. Sie wurde schon früh alleine gelassen, ausgenutzt, und in Kellen lernt sie einen Mann kennen, der all das verurteilt und ihr Halt gibt. Ihre Freundschaft festigt sich, wird intensiver und tiefer. Man möchte schon fast sagen: sie ist rein. Aus einem zarten Pflänzchen wächst ein Stamm. Man spürt jede Schwingung zwischen ihnen. Die beiden bewegen sich durch die Geschichte wie Noten in einer Sinfonie. Nur gemeinsam ergeben sie ein eindrucksvolles Ganzes.
Aus Kellens Sicht hatte ich nie das Gefühl, dass er Wavy ausnutzt oder leichtfertig mit ihren Gefühlen spielt. Tatsächlich verändern sich seine Gefühle von Freundschaft zu Liebe erst im Laufe der Zeit. Der Autorin ist hier die Gratwanderung eines so schwierigen Themas extrem gut gelungen.
„Welche Augenfarbe hat er? Blau? Braun?“, fragte Grandma Jane. Wavy nickte und sagte: „Sanft.“ (Zitat)
Muss ich nach diesem Satz noch etwas zum Schreibstil sagen? Ich denke nicht. Emotional. Tiefgreifend. Echt. Die Autorin hat mich auf so vielen Ebenen abgeholt und meine Erwartungen mehr als übertroffen. Nach dem Lesen kann ich nun sagen: Es ist ein eher untypisches Buch für Festa. Aber eins mit einer wichtigen Botschaft. Eine Geschichte, die uns über den Tellerrand schauen lässt und uns bittet, nachzudenken.
Der Titel ist eine schöne Analogie dazu, wie der Mensch denkt. Neigen wir doch eher dazu, uns auf die schlechten Dinge zu stürzen, zeigt uns Wavy, dass die kleinen Sterne inmitten der Dunkelheit das sind, worauf es im Leben ankommen sollte.
Persönliches Fazit: Eine einzigartige lyrische Komposition: mal gesellschaftskritisch und laut, mal einfühlsam und leise. Mit Paukenschlägen, die man so schnell nicht mehr vergisst.
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Bibliografie:
AutorIn: Bryn Greenwood
Verlag: Festa Verlag / ISBN: 978-3-86552-755-4
Reihe: Festa Must Read
Genre: Coming-of-Age
Erscheinungsdatum: 26.08.2019
Seitenanzahl: 512
Format: Hardcover: 22,99 € / E-Book: 5,99 €
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Leseexemplar: Ja
Rezension: © Recensio Online, Julie
Cover Original: © Festa
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