Inhaltsangabe:
In einem Kreuzberger Hostel beginnt Sheriff seine Nachtschicht und fühlt sich mal wieder wie ein schlecht bezahlter Sozialarbeiter. Im Späti nebenan erlebt Anna den zweiten Überfall in diesem Jahr. An der Tür vom Lobotomy steht Ten und realisiert, dass ihm seine junge Familie durch seine Arbeitszeiten komplett zu entgleiten droht. Außerdem: Eine idealistische Notfallsanitäterin, eine zornige Pfandsammlerin und ein Drogendealer mit Zahnschmerzen, der sich fragt, ob er Freunde hat oder nur noch Stammkunden.
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Wer arbeitet eigentlich, während alle anderen schlafen? Und stimmt die Redensart „Nachts sind alle Katzen grau“? Thorsten Nagelschmidt nimmt den Leser mit in die Kreuzberger Nacht. In lose zusammenhängenden Kapiteln werden einzelne Figuren vorgestellt, die zum Ende hin wie in einem Finale miteinander verknüpft werden. Das Besondere ist hierbei jedoch, dass ich nicht das Gefühl hatte, alles läuft ohnehin darauf hinaus. Es gab keine ansteigende Spannung, kein zugespitztes Ende. Und dennoch konnte ich das Buch nicht aus der Hand legen, weil es mich so leicht hat eintauchen lassen.
Egal ob Drogendealer, Krankenschwester oder Taxifahrer (der gefühlt die Funktion des roten Fadens für den Roman hatte) – Nagelschmidt hat die Sprache in den einzelnen Abschnitten dem jeweiligen Milieu angepasst. Mal raubeinig, mal naiv. Das passt sehr gut und zieht den Leser ein Stück tiefer in die dunklen, verwinkelten Gassen Berlins. Es gab einige Passagen, die aufgesetzt wirkten, weil sie für ein authentisches Gespräch viel zu lang und gestelzt waren. Doch das ist „Meckern auf hohem Niveau“ und beeinflusst meine Bewertung nicht, das es nur marginal vorkommt.
Hier von vielschichtigen und tiefgründigen Charakteren zu schreiben, ist vielleicht etwas zu viel. Doch für den Zweck, den Nagelschmidt verfolgt, lernt man die Charaktere sehr gut kennen und kann sich gut in sie hineinversetzen. Ja, man möchte zuweilen auch mehr wissen und ist dann traurig, wenn man die letzte Seite umschlägt. Was ist schiefgegangen beim Türsteher, und wie endet der Abend der Freundinnen aus Österreich? Interessant sind auch die Abschnitte der Sanitäterin – alleine daraus könnte man schon ein eigenes Buch schreiben.
Persönliches Fazit: Der Autor lässt in diesem Gesellschaftsroman viele von denen zu Wort kommen, die sonst nur am Rande erwähnt werden. Menschen, die die Nachtschicht schieben und den Betrieb aufrechthalten. Unbedingt lesen!
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Bibliografie:
Autor: Thorsten Nagelschmidt
Verlag: S. Fischer
ISBN: 978-3103974119
Reihe: -
Genre: Roman
Erscheinungsdatum: 29.04.2020
Seitenanzahl: 336
Leseprobe: Blick ins Buch
Leseexemplar: Ja
Rezension: © RO, Julie
Cover Original: © S. Fischer
Grafik: © swr2/literatur
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