Interview mit: Thomas Kundt

FRAGE: Wie viele Bakterien haben wir unter jedem Nagel?
 
A: 7.000
B: 50.000
C: 400.000

Schreibt eure Vermutungen gern in die Kommentare. Die Lösung verrate ich euch gleich...
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Vor einer Weile bin ich auf einen Instagramaccount aufmerksam geworden, der mich ob seiner Bilder fesseln konnte. Sie sind erschreckend, abstoßend, faszinierend - ich wollte unbedingt mehr über die jeweiligen Hintergründe erfahren!

Thomas Kundt ist von Beruf Tatortreiniger, am 17. September erschien sein Buch "Nach dem Tod komm ich" im dtv Verlag. Das habe ich zum Anlass genommen, um mit euch in die Welt der Toten, Insekten und Körperflüssigkeiten reinzuschnuppern.
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RO: Wer ruft dich an einen Tatort, wenn es einen Todesfall gegeben hat?
 
Thomas: Meistens werde ich von der Hausverwaltung, Polizei oder den Erben gerufen.

RO: Darfst du die Wohnung sofort betreten, oder musst du dich zuvor mit der Polizei abstimmen?

Thomas: Wenn die Todesursache nicht eindeutig geklärt ist und noch Ermittlungen stattfinden müssen, dann darf ich die Wohnung nicht ohne Polizei betreten.

RO: „Zeig mir dein Insekt und ich sag dir, wie lange du tot bist“ – Was gehört zu den Skills, die du dir im Laufe deines Berufslebens angeeignet hast? Interessiert dich das auch persönlich?
 
Thomas: Ja, das Ganze interessiert mich auch persönlich. Es gibt viele Kleinigkeiten, die ich mittlerweile dazugelernt hab oder auf die man automatisch achtet. Das sind die Vorhänge an den Fenstern: Wie sehen die Fenster an sich von außen aus? Also wenn ich durch die Straßen fahre, gucke ich da automatisch hin. Ich schaue mir Briefkästen an und sehe die Insekten, die im Treppenhaus sind. Dadurch fällt mir viel auf. 
 

RO: Hattest du schon viele Fälle, in denen Krabbeltiere involviert waren?
 
Thomas: Ja. Bei über 50% der Fälle, die wir haben, gibt es Maden, Fliegen, Insekten und Speckkäfer.

RO: Wie lange dauert eine Tatortreinigung durchschnittlich? Wie viele Stunden dauerte die längste?

Thomas: Ein “normaler“ Tatort, wo nur kurz gereinigt werden muss, weil da Blutspuren sind, dauert so drei bis vier Stunden. Ansonsten kann das insgesamt 18-19 Stunden dauern. Wenn wir wegen des Geruchs desinfizieren und vernebeln müssen, ist das ein Prozess, der über zwei bis vier Wochen gehen kann.

RO: Was benötigt man alles für einen Einsatz?

Thomas: Ich habe eine große Tatortreiniger-Kiste im Kofferraum. Da ist von Schrubbern, Bürsten, Spachteln, Schwämmen, Metallschwämmen und verschiedenen Reinigungsmitteln alles drin. Dann dürfen mein gelber Schutzanzug, die Stiefel, der Atemschutz und eine Schutzbrille nicht fehlen. Zu guter Letzt brauche ich regelmäßig noch Handwerkszeug, weil manchmal auch der Fußboden rausgerissen werden muss, eine Tür im Weg ist oder ein Schrank abgebaut werden muss. Das ist meine die Grundausrüstung.
 

RO: Du reinigst auch Wohnungen, deren Bewohner plötzlich und unerwartet aus dem Leben gerissen wurden. Hat dich das nachdenklich gemacht – hat das deine Art zu leben beeinflusst oder sogar geändert?

Thomas: Ja natürlich macht einen das nachdenklich, wenn man eine Wohnung reinigt, in der vielleicht grad noch jemand gelebt hat. Wenn wir fertig sind mit der Reinigung und Beräumung der Wohnung, löschen wir ein ganzes Leben aus. Das was wir für Nippes und Kram halten, war für die Person vielleicht ein wichtiges Teil, hinter dem ein großer ideeller Wert steckt. Und es ist auch so, dass man automatisch intensiver lebt: Intensiv arbeiten, intensiv leben und intensive Freizeit ist für mich nicht nur ein Spruch, sondern eine Lebenseinstellung. Es kann eben ganz schnell vorbei sein und „wenn hätte kommt ist haben weg“.

RO: Du bist mit deinen Fällen auf Tour, hast einen Podcast, fast 21.000 Follower auf Instagram und im September erscheint dein Buch „Nach dem Tod komm ich“. Konntest du dir zu Beginn deiner Laufbahn ausmalen, dass die Menschen von diesem Thema „Tatortreinigung“ so fasziniert sind?

Thomas: Ich habe mit keiner Silbe dran gedacht, dass das mal so ein Ausmaß annimmt und dass so viele Leute sich A: für das Thema interessieren und B: mir folgen, zuhören und davon begeistert sind. Ich freue mich immer über das viele Feedback, das ich bekomme. Das sind ganz viele positive Nachrichten oder Mails, in denen Leute mich etwas fragen oder um Hilfe bitten. Das macht mich froh und dankbar. Tatortreiniger ist nicht mehr mein Beruf, es ist meine Berufung.

RO: Erzähl doch mal, wie du überhaupt dazu gekommen bist. Eigentlich war es ja mehr Zufall als Planung, stimmt’s?

Thomas: Das ist eigentlich ganz einfach erklärt. Ich sammle alte Gegenstände und hab immer mal Wohnungen geräumt, um an Antiquitäten zu kommen. Bei einer Feier hat ein Kripobeamter mit gesagt: „Dann mach doch Tatortreinigung und du kommst vielleicht als Erster an die richtig coolen Wohnungen“. Dann habe ich darüber nachgedacht und mich ein bisschen informiert. Es gab keine großen Anforderungen an den Beruf – jeder kann Tatortreiniger:in werden. Dann habe ich als Tatortreiniger ein Kleingewerbe angemeldet, Visitenkarten ausgedruckt und verteilt und irgendwann kam der erste Anruf von der Kripo. Da ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, worauf ich mich da eingelassen habe. Erst dachte ich “ok, das machst du nie wieder“. Aus dem “nie wieder“, sind jetzt ein paar hundert Tatorte und Leichenfundorte geworden, sodass ich nun schon seit fast einem Jahrzehnt als Tatortreiniger unterwegs bin.

RO: Man kann auf Live-Events deinen (True Crime) Geschichten lauschen. Welche ging dir am meisten unter die Haut?

Thomas: Es gibt ganz viele die mir unter die Haut gehen. Das sind zum einen die extrem ekligen oder die sehr skurrilen Fälle. Aber es gibt auch zwischenmenschliche Erlebnisse, bei denen man im Nachgang sagt: Das war nicht bloß ein Job, bei dem man Geld verdient hat, man hat auch die ein oder andere Weisheit und Erkenntnis für sich mitgenommen. Grade das macht den Job für mich so interessant. In meinem Programm erzähle ich zum Beispiel von Raffi. Eine interessante Persönlichkeit und ich frag mich immer, wer sich in Zukunft noch an ihn erinnert, wenn es ihn mal nicht mehr gibt.

RO: Wie geht es in Zukunft für dich weiter? Hast du besondere Pläne?

Thomas: Ja wie geht es weiter? Nächstes Frühjahr beginnt meine große Tour. Darauf freue ich mich ganz besonders, das ist für mich etwas ganz besonders auf der Bühne zu stehen und über meinen Job und mein Leben zu erzählen. Ich freue mich auf die Lesereise mit dem wunderbaren Tarkan Bagci in diesem Herbst. Es wird ein, zwei Fernsehbeiträge geben, das ist für mich auch sehr aufregend. Die Dreharbeiten waren schon vielversprechend. Und wenn ich träumen darf: Es wäre cool in der Krimireihe Tatort als Tatortreiniger mitzumachen. Der Rest bringt die Zeit. Private Wünsche und Ziele habe ich natürlich auch, da wird sich sicherlich auch das ein oder andere verwirklichen.

RO: Ich hoffe, dass ich dich auch mal auf der Bühne erleben darf! Vielen Dank für das Interview, Thomas - und ich wünsche mir für dich jede Menge Leser:innen, denen dein Buch mindestens genauso gut gefallen wird wie mir.

Apropos...

Zitat aus dem Buch: "Unter jedem Nagel haben wir circa 50.000 Bakterien, Fingernägel sind richtige Bakterienschleudern." - Lagt ihr richtig?
 
 

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