Interview mit: Romy Hausmann

Lest ihr lieber fiktive oder reale Fälle/Geschichten?

Da draußen gibt es True-Crime-Fans en masse, die sich den ganzen Tag über mit wahren Verbrechen auseinandersetzen können, die das Böse im Menschen fasziniert, die Hintergründe zu bestimmten Taten verstehen möchten und auch, wie diese überhaupt möglich waren. Anderen hingegen ist all das auf emotionaler Ebene zu viel. Sie möchten sich beim Lesen berieseln und die Seele baumeln lassen, weswegen sie lieber zu Büchern greifen, die Positives vermitteln. Zu welcher Lesergruppe gehört ihr?

Für mich ist es ganz klar die erste! Ich sauge True-Crime-Facts auf wie ein Schwamm. Als ich erfahren habe, dass Romy Hausmann ein Buch in diesem Sub-Genre veröffentlicht, war ich hellauf begeistert. Aber wie kommt eine Thrillerautorin, die zuvor fiktive Geschichten verfasst hat, dazu, sich wahren Verbrechen zu widmen? Auf diese und weitere Fragen geht die deutsche Schriftstellerin, Fernsehjournalistin und Medienberaterin in unserem Interview ein.
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RO: Was interessiert dich an True Crime? Kannst du den Boom diesbezüglich nachvollziehen?

Ich glaube, mir geht es nicht anders als vielen, vielen anderen auch: in der Theorie wissen wir, dass das echte Geschichten sind, Dinge, die echten Menschen widerfahren sind, ganz normalen Menschen wie dir und mir. Heißt: auch uns könnte so etwas passieren. Da treffen Faszination, Voyeurismus, aber auch etwas rein Biologisches aufeinander. Wir gruseln uns von Natur aus gerne – zumindest aus der sicheren Distanz -, denn nach einem überstandenen Grusel werden in unserem Gehirn Glücksbotenstoffe freigesetzt. Von dem her kann ich den Boom schon nachvollziehen. Ich habe mich für mein Buch jedoch gefragt, was passiert, wenn man die Theorie bröckeln lässt, die sichere Distanz aufhebt und sich eben nicht nur mit den Geschichten konfrontiert, sondern mit den Menschen, die dahinterstehen.

RO: Wie gut kennst du dich mit bekannten Fällen und dem deutschen Rechtssystem aus?

Auch dabei geht es mir wie vielen anderen True Crime-Konsument*innen: Es gibt immer wieder Fälle, die medial sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, und die nicht an einem vorbeigehen. Zumal – so geht es mir zumindest: Wenn mich ein Fall interessiert, dann recherchiere ich wie automatisch weiter, durchforste Foren, unterhalte mich mit Freund*innen darüber oder sehe mir Dokumentationen dazu an. Was das Rechtssystem betrifft, bin ich nicht wirklich firm, aber dafür äußerst interessiert und kann dieses Interesse auch immer direkt stillen, denn meine Stiefomi ist Richterin und mein Kumpel Ingo Bott ist ja auch nicht nur Buchautor, sondern gleichermaßen Strafverteidiger. Ich habe da also ein paar gute Gesprächspartner*innen an der Hand.

RO: Für dein Buch „TRUE CRIME – Der Abgrund in dir: Was den Menschen zum Mörder macht“ hast du verschiedene Menschen angeschrieben, um mehr über ihre Schicksalsschläge, den Umgang damit und ihr Leben danach zu erfahren. Wie hat man auf diese Fragen reagiert?

Ganz anders als erwartet, ehrlich gesagt. Natürlich wollten nicht alle, die ich kontaktiert habe, öffentlich darüber sprechen, was sie erlebt haben, aber die, die zugestimmt haben, haben mir ein unheimliches Vertrauen entgegengebracht, zum Beispiel die Familie von Phoebe Handsjuk, deren Fall in meinem Buch sehr viel Raum einnimmt. Ihre Mutter Natalie begründete ihre Zustimmung damit, dass ich die Erste in elf Jahren gewesen sei, die sich nicht nur für die harten Fakten interessiert habe, sondern wissen wollte, was der Tod ihrer Tochter mit der Familie gemacht hat. Das hat mich einerseits natürlich sehr gefreut, anderseits fand ich das aber auch sehr bezeichnend. Wir vergessen, dass True Crime nicht nur aus Abläufen, Theorien und Blut besteht, sondern dass es um die Menschen und ihre Emotionen geht.

RO: Wenn man so tief in die Materie eintaucht wie du, hinterlässt das häufig Spuren. Man verändert sich, bekommt einen anderen Blick auf bestimmte Dinge. Inwieweit war das bei dir auch so?

Die Arbeit an „True Crime“ hat einiges verändert, für mein Schreiben, aber auch für mich als Person. Besonders von Natalie Handsjuk habe ich viel gelernt. Ich bin selbst noch nicht fertig, mich innerlich zu sortieren und ein Endergebnis dieser Erfahrung zu formulieren.

RO: Wonach hast du die elf Fälle in deinem Werk ausgewählt?

Es sind Fälle, die zum einen in einem Kosmos spielen, in dem ich selbst als Autorin tätig bin: Hier eskaliert es großenteils im eigenen, engsten Umfeld, und der Horror findet nicht durch einen verrückten Fremden statt, sondern durch die, denen man am meisten vertraut, oder direkt in der Nachbarschaft. Die Täter*innen sind die eigenen Kinder, Eltern, Freund*innen oder der Typ, der dir mittags in deinem Lieblingsrestaurant die Pizza serviert. Das ist eine Art von Horror, der mich persönlich viel mehr ängstigt, als die Vorstellung, dass es da draußen ein paar Durchgeknallte gibt, die einfach nur zum Spaß und wahllos töten. Es sind also Geschichten, die ich selbst hätte schreiben können – nur wären sie mir wahrscheinlich von meinen Leser*innen um die Ohren gedroschen worden, weil sie so klischee- oder zufallsbehaftet, so unglaubwürdig und absurd sind, dass man eigentlich gar nicht glauben mag, dass sie sich wirklich zugetragen haben sollen.

RO: Am 10. August ging mit „Kids who kill – Der Fall Cinnamon Brown“ die erste Podcast-Folge online – eine Zusammenarbeit mit dem bekannten Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke. Wie kam es dazu?

Eigentlich hatte ich nie vor, ein Buch über True Crime zu machen, sondern ein Podcast-Special. Also war der Podcast im Grunde der Auslöser für alles, was danach kam. Ich fangirle Mark schon seit 20 Jahren und habe mir früher immer „Medival Detectives“, „Autopsie“ und eben die ganzen Sendungen angeschaut, in denen er als Experte auftrat. Ich habe mir damals schon gewünscht, eines Tages mal mit ihm zusammenzuarbeiten. Im Endeffekt war nun die Gelegenheit dazu und ich habe ihn einfach gefragt – und wie du siehst: Träume erfüllen sich.

RO: Auf was dürfen sich die Hörer*innen des Podcasts künftig noch freuen?

In Summe haben wir uns zwölf Fälle vorgenommen und sie aus unseren unterschiedlichen Perspektiven – Mark, für den Verbrechen Alltag sind, und ich, die als Autorin Verbrechen erfindet – beleuchtet. Es kommen noch einige Fälle, bei denen euch der Mund aufklappen wird, weil ihr nicht glauben werdet, dass so etwas wirklich passiert sein soll.

RO: Wie geht es jetzt bei dir weiter?

Ich habe noch nie von mir aus so viel Promo für ein Buch gemacht wie für „True Crime“, aber ich möchte unbedingt, dass man die Geschichten darin kennt und ein Verständnis entwickelt. Verständnis verhütet Ignoranz. Das ist unheimlich wichtig, denn Ignoranz ist es, die in vielen Fällen zur Eskalation führt. Überhaupt ist mir dieses Projekt unheimlich wichtig, also werde ich für den Rest des Jahres sehr viel unterwegs sein und möglichst viele Veranstaltungen bestreiten. Mit Urlaub habe ich es fünf Tage lang versucht, aber eingesehen, dass jetzt einfach nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist. Vielleicht klappts ja nächstes Jahr wieder. Und dann natürlich das Schreiben, klar. Wobei ich den Roman, den ich letzten Herbst – also bevor „True Crime“ dazwischenkam – begonnen habe, vermutlich nicht mehr so zu Ende bringen kann, wie ich eigentlich dachte. Dazu war die Erfahrung mit „True Crime“ dann doch zu tiefgreifend.
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NICHTS IST SO GRAUSAM WIE DIE WIRKLICHKEIT

Mit den hier versammelten Fallerzählungen führt Romy Hausmann den Beweis, dass kein Thrillerautor auch nur annähernd so bizarre Verbrechen schreiben kann wie das Leben. In einfühlsamen Gesprächen mit Angehörigen und Opfern, Tätern und Ermittlern, mit renommierten Richtern, Forensikern, Medizinern und Traumaexperten spürt sie den Fragen hinter dem Offensichtlichen nach. Die Ergebnisse dieser Gespräche verdichtet sie zu einer sehr persönlichen Tagebucherzählung über die Macht der Gefühle von Opfern und Hinterbliebenen, zerstörte Leben und den Versuch, einen Abschluss zu finden. 

»TRUE CRIME. Der Abgrund in dir: Was den Menschen zum Mörder macht« ist seit dem 17. August im Handel erhältlich. Hier kommt ihr zum Podcast.

 

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